Montag, 16. September 2013

2. Sardischer Brief 2.0

So, und damit, also dem zweiten Brief, hat sich der Start der Serie schon gerechtfertigt. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass da noch der eine oder andere folgen wird.

Die Geschichte der Anreise hab ich im ersten Brief ja schon ausreichend detailliert beschrieben und zu einem guten Ende geführt. Dass in einem Urlaub nicht immer alles eitel Wonne ist, wird der heutige Brief zeigen. Nicht das ihr jetzt glaubt, er hat sich schon am zweiten Tag mit seiner Süßen gestritten, nein weit gefehlt. Ich berichte heute unter anderem von der durchaus tückischen Fauna der Insel und der umgebenden See.
Ich als alter Seebär (siehe „Der junge Mann und das Meer“, erschienen bei BoD und dort käuflich zu erwerben ;-) ) kenne das Meer und sein Getier ja wie meine Westentasche (dass ich keine Weste in meinem Kleiderschrank hängen habe bzw. nie eine besessen habe erklärt eventuell das eine oder andere ;-) ).  Aber ich muss zugeben, dass ich bei unsichtbaren Geschöpfen an meine zwar eh sehr großzügig dimensionierten Grenzen gelange.
Die ganze Geschichte von Anfang an. Um nicht nur auf der faulen Haut zu liegen und sich rein theoretisch lesend mittels einschlägigen Fachbüchern fortzubilden, besorgte ich mir vor Ort eine geeignete Meeresgetierbeobachtungsausrüstung. Im Volksmund auch gerne „Schnorchel“ genannt. Auf Grund der extrem klaren Wasserverhältnisse war es nicht erforderlich die gut zwei Tonnen schwere Tauchkapsel anzufordern. Zudem wollte ich nur den Küstenbereich der Insel wissenschaftlich überarbeiten und nebenbei eine detaillierte Küstenkarte erstellen.
Die ersten „Tauchgänge“ zur Kalibrierung des „Schnorchels“ verliefen zu meiner vollsten Zufriedenheit und zeigten schon erste schöne Exemplare der vielerorts ausgestorbenen Tierart „Fisch“. Ich muss das hier unter Anführungszeichen setzen, da mir klar ist, dass „Fisch“ selbst für Laien (ich gehe davon aus, dass nur ein geringer Anteil meiner Leser eine Ausbildung im Bereich der Meeresbiologie hat) eine viel zu oberflächliche Definition ist. Ich darf hier kurz in mein Spezialgebiet der nautischen Fauna abschweifen und die Definition ausführen: Die Gattung Fisch teilt sich bis dato in die drei Gruppen „klein“, „mittel“ und „groß“. In jeder der Gruppen gibt es die Ausprägung „bunt“ und „langweilig“. Macht also insgesamt sechs verschiedene Arten von Fischen (Gedankennotiz an mich: Wikipedia-Artikel anlegen bzw. überarbeiten).
Um das Ganze hier nicht zu akademisch werden zu lassen, breche ich hier mit der grauen Theorie ab und fahre mit den Ereignissen meiner Feldforschung fort. Nach dem ersten zu Wasserlassen und der Dichtigkeitsprüfung meiner Ausrüstung wagte ich mich in das offene Gewässer und damit zu den im Meer lauernden Gefahren vor. Da mein Leben in weiterer Folge von der einwandfreien Funktion meiner Ausrüstung abhängt, teste ich diese in tieferen Gewässern und tauchte zur Freude meiner Süßen eine Muschel vom Boden des Meeres. Ich hab dem Meer das Ding quasi entrissen. Zugegeben, die Muschel war nicht groß und sie war auch unbewohnt und damit ungenießbar, weil ja nur die Verpackung des Essens, aber es war eine vom Grunde des Ozeans geborgene Schönheit für meine Schöne.
Jetzt das Ganze nochmal, wie es sich eventuell aus Sicht eines stummen Beobachter an der Bucht am Sandstrand des Hotels zugetragen hat. Ein Touri mit neuer Taucherbrille und Schnorchel betritt die Szene und nähert sich dem Wasser. Ein leicht übergewichtiger Touri wohl gemerkt ;-). Und Weiß wie Milch ;-). Aus jetzt, das reicht. Ok. Also weiter. Der Touri macht ein paar Schritte ins Wasser, setzt sich die Taucherbrille auf und schwimmt zirka zwei Meter bis er sich aufrichtet und versucht seine komplett angelaufene Brille zu reinigen. Also spukt er rein und versucht erneut zu schnorcheln. Nach weiteren etwa zwei Metern richtet er sich wieder auf, diesmal deutlich hektischer, da er offensichtlich Wasser in seinen Schnorchel hat. Aber tapfer spukt er einige Liter des Meeres wieder in jenes zurück und versucht es ein weiteres Mal. Und siehe da, streckt er voller Stolz seine Hand mit einer kaum zu erkennenden Muschel in die Höhe. Und das alles in knietiefem Wasser. Warum der da schnorchelt und nicht nur ein paar Schritte ins Wasser macht, die Muschel aufhebt und wieder geht, bleibt dem stummen Beobachter auf ewig verschlossen. Aber deswegen ist er ja auch nur ein stummer Beobachter.
Die Vorbereitungen für meine Expeditionen sind abgeschlossen und ich starte meine für mindestens drei Tage angelegte Feldforschung.
Tag 1: Kleine langweilige Fische in Küstennähe, aber dafür unzählige. Ich nenne das „Schwarm“. Abgeleitet vom Begriff „Schwamm“ weil der auch so viel Zwischenraum hat. Besteht ja eigentlich nur aus Zwischenraum. Da ich mir ziemlich sicher bin, dass die noch keinen Namen haben taufe ich die Fische „Sardinen“ nach ihrer offensichtlichen Heimat Sardinen. Minuten später bemerke ich, dass ich vielleicht etwas voreilig war, weil es da doch noch mehrere verschiedene Fische gibt, die ebenso keinen Namen haben und auch hier in Sardinien ihre Heimat haben. Aber egal, wer zuerst kommt, malt zuerst. Eine neue Fischart zu entdecken und zu taufen sollte für einen Tag reichen und ich feiere meinen Erfolg bei einem schönen Abendessen mit einer leckeren Fischplatte für zwei.
Tag 2: Ich wage mich weiter und weiter hinaus. Die Sardinen hab ich mittlerweile hinter mir gelassen, hierher können sie mir einfach nicht mehr folgen. Und hier treffe ich erstmals auf mittlere langweilige Fische, die sich in deutlich kleineren Verbänden als es ein Schwarm ist gemeinsam fortbewegen. Ich nenne die Formation der Einfachheit halber „Familie“. Da brauch ich nicht lange irgendwelche Neukreationen suchen und bin nicht vom Erforschen des Meeres abgelenkt. Die Fischfamilie langweilt mich aber rasch und ich mache mich auf zur Felsküste. Und wie anders als mit sensationell könnte ich meine Entdeckung beschreiben. Ein einzelner kleiner, langweiliger Fisch. Aber im Unterschied zu den Sardinen liegt dieser völlig flach am Meeresboden. Und er liegt nicht nur völlig flach, sondern ist auch völlig flach. Flach wie eine Flunder. Guter Name denk ich mir und nenn ihn „Flache Flunder“. Natürlich bleibt er in der Gruppe der kleinen langweiligen Fische, aber er hat mit seinem speziellen Äußeren einen Ehrenplatz dort. Ich wollte den mittlerweile bereits gut siebenstündigen Tauchgang bereits beenden und stolpere quasi beim zurückschwimmen über eine weite Sensation. Ein, zwei, nein mehrere kleine bunte Fische tummeln sich nur Zentimeter von mir entfernt. Ich habe aber nicht mehr die Kraft mir einen geeigneten Namen zu überlegen und werde dies morgen nachholen und stärke mich am Abend bei ein, zwei, nein mehreren Steckerlfischen am Lagerfeuer.
Tag 3: Leider zeigten sich die bunten Fische von gestern heute nicht mehr. Schade, aber so bekommen sie von mir halt keinen Namen. Sie werden schon sehen was sie davon haben. Nach diesem doch eher bescheidenen Start in meinen letzten Forschungstag überschlagen sich auf einmal die Ereignisse. Nun schon nahe der 20 Meilen Zone entdecke ich eine mir bis dato völlig unbekannte Fischart, die ich auch so nicht in den bestehen Raster einordnen kann. Also eröffne ich eine neue Gruppe und bin schon geneigt neben „klein“, „mittel“ und „groß“ die Gruppe „Stefan“ anzufügen, halte mich aber doch zurück und nenne sie zur einfacheren Kategorisierung „Füße“. Der neu entdeckte Fisch bewegt sich nämlich am Meeresboden auf mindestens sechs (6!) zu zwei Gruppen an jeweils der Seite angeordneten Füßen fort. Sensationell. Und das ist noch nicht alles. Er bewegt sich nicht vorwärts, sondern läuft konsequent seitlich. Das unterscheidet ihn auch von seinem landgebundenen Bruder dem Käfer. Die äußeren Übereinstimmungen sind mehr als überzeugend. Also bekommt er von mir den Namen „Meereskäfer der nur seitlich läuft“ oder kurz „Krabbe“.  Noch habe ich gedanklich nicht mal die rituellen Taufworte fertig gesprochen durchfährt ein unglaublicher Schmerz meine Hand. Ich reiße mich zusammen und schaue mich nach der Ursache um, kann aber nichts erkennen, da meine Augen bereits vor Schmerzen tränen. Ich muss abbrechen und umkehren. Mit letzter Kraft und unter fast schon unmenschlichen Schmerzen lege ich die gut zwei Meter zum Ufer wie ein Mann zurück, nämlich gehend im knietiefen Wasser. Ein unsichtbarer Feind hat mich tatsächlich in die Knie gezwungen. Mich, den sonst so gut wie nichts erschüttern kann. Aber Ehre wenn Ehre gebührt. So bekommt auch mein durchsichtiger Widersacher einen ihm gebührenden Namen von mir. Ich taufe ihn „Qualle“. Das leite sich vom gallertartigen, übelriechenden, sagen wir’s ruhig wie es ist, unheimlich stinken Käse „Quargel“ ab. Jeder bekommt was er verdient ;-).
Nach einigen Stunden in der Reha-Bar am Strand wurde die Schwellung am Arm durch konsequentes inneres Kühlen mittels eines einheimischen Gebräus mit der Bezeichnung „birra“ unter Kontrolle gebracht. Heute erinnert mich nur noch eine Schramme an meine traumatischen Erlebnisse vor der Küste Sardiniens.
Aber das war noch nicht die ganze Geschichte der wilden Natur auf einer kaum erforschen Insel im fernen Mittelmeer. Auch zu Lande lauern hier quasi hinter jeder Bar Gefahren die man sich in unserer zivilisierten Umgebung kaum vorstellen kann…
Stefan

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